Matthias Vernaldi wird 1959 in Pößneck mit progressiver Muskeldystrophie geboren. Seine Kindheit verbringt er im „Haus am Seeberg“ in Gotha, einer Schule für Körperbehinderte mit angeschlossener Heimunterbringung. Seine dortigen Erfahrungen mit dem Zwangssystem sozialistischer Erziehung verarbeitet Vernaldi in einem prosaischen Bericht, der in Auszügen im Bestand überliefert ist.
1978 gründet Vernaldi zusammen mit weiteren Körperbehinderten sowie Pflegern aus dem diakonischen Marienstift in Arnstadt eine christliche Wohngemeinschaft (WG) im Pfarrhaus Hartroda in Wildenbörten unter der Ägide der Diakonie Thüringen. Hier ist Vernaldi ab 1980 als Prediger ohne Ordination für die Thüringer Landeskirche tätig. Die Sammlung Vernaldis spiegelt in großer Breite die Facetten dieses alternativen Wohnprojektes Körperbehinderter in der DDR im Spagat zwischen Selbstbestimmung und Anpassung auf Grund von Abhängigkeiten wieder. Deutlich wird dies im Schriftwechsel der WG mit Vertretern der Thüringer Landeskirche, der Volkssolidarität, Spendern und Unterstützern aus den Jahren 1977 bis 1985. Thematisiert wird hier das Selbstverständnis der Kommune, Fragen der Instandhaltung des Pfarrhauses, Verhandlungen zur Gründung einer weiteren WG in Leipzig mit Hilfe von Friedrich Magirius 1982, das Sommerlager der Aktion Sühnezeichen in Hartroda 1984, die Offene Jugendarbeit (OA) in Hartroda sowie deren Behinderung durch den Thüringer Landesbischofs Dr. Werner Leich 1984, das Sommerfest Hartroda 1985 und eine Anfrage nach Druckgenehmigung für christliche Motivkarten – aber auch der Protest gegen die Inhaftierung von Mitgliedern der OA sowie kirchliche Positionspapiere zu Fragen des Friedens, des Wehrersatzdienstes und des Sozialen Friedensdienstes. Ebenso enthalten sind Schenkungsurkunden, Spendenbelege, Mietverträge, die Pflegebereitschaftserklärung der Eltern Vernaldis und Rechnungen. Fotografien geben Einblick in die Alltags- und Festkultur der Lebensgemeinschaft Hartroda. Vernaldi beschreibt in seinem Theaterstück „Mein Hund starb wie Jesus“ im Jahr 1987 allegorisch die Selbstwahrnehmung – „Jedem Fremden ist er freundlich zugetan. Befehle kennt er nicht. Gehorchen hat ihm niemand beigebracht.“ – und die Lebensverhältnisse der Kommunarden in Hartroda sowie die breite Front gesellschaftlicher Intoleranz, die diese alternative Lebensweise im sozialen Umfeld hervorruft.
Das Wohnprojekt Hartroda steht seit Anbeginn unter Beobachtung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Dies ist in Kopien der MfS-Akten zum Operativen Vorgang „Parasit“ und zur Operativen Personenkontrolle „Kommune“ überliefert.