Archivbestand (Auswahl)
Stephan Schack wird 1964 in Jena geboren. Sein gesamter Lebenslauf ist durch hohes sozialpolitisches Engagement geprägt. Aus seiner Dienstzeit als Bausoldat bei den Baueinheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) in Prora von Mai 1984 bis Oktober 1985 ist die gesamte Korrespondenz Schacks überliefert, die er als Vertreter der Proraer Bausoldaten verfasst. Hier finden sich Beschwerden, Briefe und Eingaben an verschiedene Ministerien zur Problematik Frieden und Abrüstung, insbesondere zum Abkommen zur Errichtung einer C-Waffenfreien Zone in Europa sowie Erfahrungs- und Situationsberichte, gerichtet an die Teilnehmer des Bausoldaten-Treffens 1984 und die Teilnehmer der Friedensdekade 1984. In großem Umfang sind im Bestand Offene Briefe und Eingaben an die Evangelischen (Ev.) Landeskirchen und den Bund der Ev. Kirchen in der DDR zur Thematik Friedensengagement der Kirchen im Allgemeinen und Forderung der stärkeren Begleitung und Seelsorge der Bausoldaten im Besonderen enthalten. Aus staatlicher Sicht dokumentiert ist dieses Engagement in einer Fachschulabschlussarbeit der Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit von Roland Mehner aus dem Jahr 1986 mit dem Titel „Differenzierte Einschätzung der politisch-operativen Lage unter den Bausoldaten im Verantwortungsbereich der Abteilung MfNV zur Einschätzung des Grades der Ausprägung von Merkmalen der politischen Untergrundtätigkeit“.
Als Konsequenz der Erfahrungen des waffenlosen Wehrdienstes gründet Schack im Jahr 1985 den Arbeitskreis Wehrdienstfragen (AKW) beim Stadtjugendpfarramt Jena, dessen Arbeitsschwerpunkte die Durchführung von Vorbereitungswochenenden für Wehrpflichtige, die Erarbeitung einer innerkirchlichen Arbeitshilfe für die Seelsorge an Wehrpflichtigen „Du sollst nicht töten, aber wie dann leben“, die Erarbeitung von Entscheidungshilfen vor der Musterung, bis hin zur Mitarbeit am Gesetzentwurf für den Zivildienst in der DDR von 1990 sind. Sämtliche Unterlagen des AKW wie Positionspapiere, Arbeits- und Informationsmaterialien, Sitzungsprotokolle, eine Ausstellung des Arbeitskreises u.v.m. sind überliefert. Hervorzuheben ist hier insbesondere die Korrespondenz mit allen kirchlichen und freikirchlichen Institutionen der DDR von 1985 bis 1989 und die daraus hervorgegangene umfassende Sammlung seelsorgerischen Arbeitsmaterials zum Thema Wehrdienst in der DDR.
In den Jahren 1988 bis 1989 ist Schack als Delegierter der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen an der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Kirchen in der DDR als Leiter der Arbeitsgruppe Wehrdienstfragen beteiligt. Im Jahr 1990 wird Schack als Angestellter der Stadt Jena im Bereich Zivildienst und später beim Bundesamt für den Zivildienst tätig. In der Folge ist er im April 1990 an der Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in der DDR beteiligt, dessen Landesgeschäftsführer er wird. Im Jahr 2004 erarbeitet Stephan Eschler (geb. Schack) gemeinsam mit Uwe Koch die Publikation „Zähne hoch – Kopf zusammenbeißen. Dokumente zur Wehrdienstverweigerung in der DDR 1962-1990“. Die Originaldokumente und Kopiervorlagen dieser Publikation befinden sich im Depositum, ebenso die zu Forschungszwecken von Detlef Hutschenreuter an Schack übergebene Briefsammlung von und über Bausoldaten aus den Jahren 1984 bis 1987.
Weiterhin gehören zum Bestand zahlreiche Materialien der vormilitärischen Wehrerziehung von Kindern und Jugendlichen durch die Pionierorganisation der DDR und Lehrmittel für die sozialistische Erziehung an den Schulen, die Schack nach 1990 im ehemaligen Haus der Pioniere „Erich Weinert“ Jena sichert. Hierzu gehören Materialien aus dem Militärpolitischen Kabinett des Pionierhauses, so das Gästebuch, eine Tafelausstellung zur NVA, Militärspielzeug, Uniformen, eine Lichtpunktschießanlage und Manöverspiele. Außerdem sind hier zahlreiche Lehrmittelsätze von DIA-Reihen und Lehrfilmen, die in den Schulen, insbesondere in den Schulfächern Geschichte, Staatsbürgerkunde, Heimatkunde, aber auch im Schulhort zum Einsatz kamen sowie eine Büste vom Namensgeber der Pionierorganisation Ernst Thälmann überliefert.
Ebenfalls im Depositum enthalten ist eine kleine Samisdatsammlung mit „Pechblende“, „Depressionen einer Landschaft“, „Vierzig Jahre sind genug“ und „Grenzfall“.
Die Sammlung von Karsten Schellenberg (Jg. 1960) umfasst im Wesentlichen Belege seiner regen Eingabekorrespondenz – Möglichkeit persönlichen Protestes und Engagements in der DDR.
Als Mitglied der Jungen Gemeinde (JG) Saalfeld nimmt Schellenberg Ende der 1970er an Ausflügen und Veranstaltungen der JG teil. Dies ist in einer kleinen Fotosammlung überliefert. Auch ein Notizheft zu den kirchlichen Jugendgroßveranstaltungen der Offenen Arbeit Saalfeld/Rudolstadt „JUNE“ (1978, 1979) ist vorhanden.
Den Schwerpunkt der Sammlung bildet ein Hefter mit der Aufschrift „Eingaben und Aufrufe“. Während seines Wehrdienstes von Mai 1986 bis Oktober 1987 wird Schellenberg als Bausoldat der Nationalen Volksarmee (NVA) auf der Baustelle des Militärflugplatzes Laage eingesetzt. Wiederholt wendet sich Schellenberg in Briefen und Eingaben an das Ministerium für Nationale Verteidigung, die politische Hauptverwaltung der NVA und den Militärstaatsanwalt gegen Missstände in der Kaserne sowie den Einsatz der Bausoldaten auf dem Militärflugplatz und fordert die Einrichtung eines sozialen Friedensdienstes (1986/87). Andere Eingabekorrespondenzen betreffen etwa die Forderung einer Baumbepflanzung an einer Fernverkehrsstraße (1985), den Kampf um das Besuchs- und Sorgerecht für seinen in die Bundesrepublik ausgereisten minderjährigen Sohn (1987) oder auch die Streichung der Zeitschrift „Sputnik“ von der Liste für Presseerzeugnisse des Postzeitungsvertriebes der DDR (1988).
Im Herbst 1989 verfasst Schellenberg Eingaben und Aufrufe, in denen er den offenen Dialog zur Errichtung eines demokratischen Sozialismus fordert. Am 7. November 1989 bittet Schellenberg beim Rat der Gemeinde Schmiedefeld um Aushang des Aufrufes „Zur ernsten Lage unseres Landes“, woraufhin er zur Klärung eines Sachverhaltes vorgeladen wird. Interessierte Schmiedefelder folgen am 11. Dezember 1989 dem Aufruf und gründen auf dem Bürgerforum der Initiativgruppen die Bürgerinitiative Schmiedefeld unter maßgeblicher Beteiligung Schellenbergs. Eingaben, Aufrufe, Gründungsprotokoll und die an den Ministerrat der DDR gerichtete Gründungserklärung der Bürgerinitiative sind ebenso überliefert wie Materialien aus Schellenbergs Kandidatur zur Kommunalwahl am 6. Mai 1990.
Die Sammlung wird ergänzt durch die von dessen Vater Karl-Heinz-Schellenberg angemeldete und als Chefredakteur verantwortete erste unabhängige Wochenzeitung im Kreis Saalfeld "Saale-Spiegel" 1990.
Arbeitsunterlagen von Tilo Schieck aus dessen studentischem hochschulpolitischem Engagement an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena von 1988 bis 1991: Solidaritätsaktion Ambulancia Jena 1988 bis 1989, Freie Deutsche Jugend (FDJ) Grundorganisationsleitung (GOL) der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena 1989, Reformkreis und "Reformhaus" Jena 1989, Studentenrat Jena 1989 bis 1991, Zeitschrift Studentisches Akrützel 1989 bis 1991, Studentische Linke Jena 1989 bis 1991, Runder Tisch Jena 1989 bis 1990, Studentische Teestube "Die Rosenstuben“ Jena 1990-1991, u.a.
Literaturzeitschrift Sinn und Form, 1983 bis 1991.
Pfarrer Walter Schilling (geb. 28.2.1930, gest. 29.1.2013) gilt als geistiger Vater und charismatische Vertreter der Offenen Jugendarbeit (OA) der Evangelischen (Ev.) Kirche im Raum Thüringen. Als Pfarrerssohn in Sonneberg geboren, studiert er von 1950 bis 1955 Theologie in Münster, Heidelberg und Jena. Ab 1957 tritt er die Stelle des Kreisjugendpfarrers in Rudolstadt an und baut ab 1959 das kirchliche Jugendheim Braunsdorf auf. Seit 1968 ist er maßgeblich an der Konzeption und dem Aufbau der OA in Thüringen beteiligt.
Die überlieferten Materialien aus der Amtstätigkeit Schillings reichen bis zu dessen Ruhestand im Jahr 1995. Es sind Exegesen und Predigtentwürfe der Jahre 1954 bis 1962, Arbeitsmaterial aus der Tätigkeit im Ev. Pfarramt Braunsdorf von 1957 bis 1998 sowie Briefe an Schilling von 1953 bis 1994 enthalten. Ein Arbeitshefter „Rüstzeitheim Braunsdorf“ (1965 bis 1967) enthält Bauunterlagen, Vertragsentwürfe für die Benutzung und Unterhaltung als Gemeinde- und Jugendheim sowie Berichte über rechtliche Problemlagen. Ab 1968 setzt der Landeskirchenrat (LKR) Eisenach zur Verwaltung des Gemeindehauses Braunsdorf ein Kuratorium ein, dessen Sitzungsprotokolle für den Zeitraum 1972 bis 1980, ebenso wie die Belegungs- und Heimnutzungspläne von 1975 bis 1980 überliefert sind. Auch das Protokoll über die Hygienekontrolle im Juli 1974, die folgende Anordnung der sofortigen Schließung des Heims in Verbindung mit einem strengen Amtsverweis und dem Entzug der Heimleitung durch den LKR gegenüber Schilling und diverse Unterstützer-Korrespondenz sind vorhanden. Weitere Arbeitsmaterialien der Jahre 1968 bis 1972 sind Notizhefte aus Schillings Tätigkeit im Dienstagskreis Rudolstadt, in der Jungen Gemeinde (JG) Rudolstadt sowie im Diskussionskreis Saalfeld. Die Korrespondenz von 1968 bis 1971 gibt Einblicke hinsichtlich der wachsenden Verbindung der Saalfelder, Rudolstädter und Bad Blankenburger JGs mit Mittelpunkt Braunsdorf, in andauernde Probleme mit dem Rüstzeitheim bezüglich Baubestimmungen, Hygiene und Aufsichtspflicht, aber auch in persönliche Konsequenzen für Schilling, wie das Einreiseverbot von Schwester und Mutter aus der Bundesrepublik. Weiterhin thematisiert werden hier vielfältige Probleme auf Grund musikalischer Gottesdienste, des Abspielens von Musik zu den JG-Abenden und Schillings Eintreten für die Musikbands „Ulysses“ und „Medinas“. 1978 und 1979 schließlich veranstaltet die OA Saalfeld/Rudolstadt die „JUNE“-Wochenenden. Zu diesen Großveranstaltungen wird Rudolstadt Anziehungspunkt für Jugendliche aus der gesamten DDR. Überliefert sind hier Schillings Arbeitshefter „JUNE 79“, der zugehörige Holzdruckstock für die Plakate aber auch das Röhrentonbandgerät zur Aufzeichnung der Konzerte und Gottesdienste.
Ein Kuratoriumssitzungsprotokoll vom 28.11.1979 weist jedoch sehr viel weiter gefasste Arbeitsaufgaben Schillings auf: Leitungskreis der DDR für sozial-diakonische Arbeit und damit verbundene Einzelseelsorge; Verantwortlichkeit und Begleitung sozialdiakonischer Arbeit in Jena, Gera, Erfurt, Halle; Aufbau Modell Braunsdorf mit ambulanter Betreuung von sozialgeschädigten jungen Menschen; Mentor für Musigmann in Erfurt und Rochau in Halle; Mitarbeit in der Arbeitsgruppe Berufstätige Jugend beim Bund der Ev. Kirchen in der DDR. In diesem Sinne setzt sich Schilling besonders für Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Umfeld der OA, die in Konflikt mit dem Staat geraten, ein. Hier sind Notizen und Korrespondenz, beginnend mit seinem Einsatz für verhaftete junge Erwachsene in Oelsnitz und Plauen im Jahr 1979, enthalten. Im Jahr 1981 häufen sich die kriminalpolizeilichen Übergriffe. In Halle-Neustadt werden Jugendliche unter dem Vorwurf der staatsfeindlichen Hetze verhaftet; Matthias Domaschk und Peter Rösch aus Jena werden im April 1981 verhaftet, was zum bis heute nicht zweifelsfrei geklärten Tod von Domaschk in der Untersuchungshaftanstalt Gera führt und in Berlin werden die Gäste der Wohnungseinweihungsfeier von Katrin Schilling verhaftet. Um ein gezieltes staatliches Vorgehen gegen Jugendliche aus der OA nachzuweisen, fordert Schilling die Betroffenen auf, das Erlebte in Gedächtnisprotokollen festzuhalten. Diese stellt Schilling in Belegmappen zusammen und sendet Sie, verbunden mit der eindringlichen Aufforderung zum Handeln, an diverse Vertreter der Ev. Kirchenleitung sowie Rechtsanwalt Wolfgang Schnur. Zwei Fassungen dieser „Belegmappen“, zum Teil mit zusätzlichen Protokollen, sind vorhanden. Weitere Belege der überregionalen Begleitung der Offenen Arbeit durch Schilling in der ersten Hälfte der 1980er Jahre sind beispielweise Briefe aufgrund der Suspendierung von Lothar Rochau in Halle-Neustadt, oder auch Material zum „Montagskreis“ der JG Weimar, aus welchem die vergeblichen Versuche des Aufbaus einer OA Weimar seit Gründung des Arbeitskreises im Sommer 1981 bis 1985 deutlich werden.
Ab 1987 ist Schilling Mitinitiator und Organisator des „Kirchentags von Unten“ und wird 1989 durch die Ev. Kirche Berlin-Brandenburg zum Begleiter der „Kirche von Unten“ berufen. So ist unter anderem der Brief des Thüringer LKR an Schilling zur Genehmigung der Freistellung für die Aufgaben der OA Berlin für Juni bis Dezember 1989 enthalten. So erlebt er am 7. Oktober die polizeilichen Übergriffe auf friedliche Demonstranten in Berlin und dokumentiert diese in einem großformatigen tabellarisches Zeit- und Ereignisprotokoll.
Anfang der 1990er Jahre wird Schilling, der selbst in den 1970er und 1980er Jahren wegen vielfältiger Kontakte zu oppositionellen Gruppen durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bearbeitet und überwacht wird, Berater des Untersuchungsausschusses der Ev.-Lutherischen Kirche in Thüringen zur Aufarbeitung von Verstrickungen kirchlicher Amtsträger mit dem MfS. 1993 gibt er unter Mitwirkung einer privaten Forschungsgruppe und des ThürAZ den Quellenband „Die „andere“ Geschichte. Kirche und MfS in Thüringen“ heraus. So bilden zahlreiche Briefe, Manuskripte, Gutachten, Referate, Forschungsmaterial, aber auch Kopien aus MfS-Akten, darunter ein Bericht über einen Vortrag von Schilling über die Methoden des MfS in der JG Stadtmitte Jena im März 1987, einen Schwerpunkt der Sammlung.
Samisdat der staatlich unabhängigen Friedensbewegung der 1980er Jahre und Rundbriefe zu Friedensthemen verschiedener ev. Kirchgemeinden sowie Fotografien, welche Schilling in allen Lebensphasen seit seiner Hochzeit mit Eva Schilling abbilden, ergänzen den Bestand. Zahlreiche Interviews im Zeitzeugenbestand des ThürAZ ordnen die Entstehungsgeschichte der Sammlung sowie die Wirkungsgeschichte Schillings zusätzlich ein.
Sammlung der Pfarrerin Ruth-Barbara Schlenker aus der unabhängigen, kirchlichen und politischen Frauenarbeit:
Texte zur Geschichte der Frauenbewegung von 1985 bis 1994.
Hefter mit Material der Gruppe Frauen im Gespräch der Evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde Jena mit feministischen Eingaben und Leserbriefen 1988 bis 1989 und Fotografien vom sechsten DDR-weiten Frauentreffen „Zwischen Aufbruch und Beharren“ vom 26.bis 28.05.1989 im Martin-Niemöller-Haus in Jena.
Material aus der Mit-Gründung der Fraueninitiative Jena und dem Unabhängigen Frauenverband Jena 1989 bis 1992 wie Notizen zu ethischen Aspekten der Abtreibung §218 und Scheidung sowie ein selbstgefertigtes DIN-A2-Plakat für den Wahlkampf des UFV zur Volkskammer der DDR 1990.
Notizbuch und Hefter mit Aufzeichnungen und Unterlagen von verschiedenen kirchlichen Frauentagungen von 1989 bis 1992 wie die Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR vom 31.8. bis 1.9.1990 zum Schwangerschaftsabbruch oder die Frauendekade im Rahmen der Ökumenischen Dekade 1992.
Material aus der Gründung und Mitwirkung im Bürgerkomitee zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit Schmölln 1989 bis 1991 und vom Neuen Forum Schmölln 1989 bis 2019.
Bernd Schröder, 1951 in Prenzlau geboren, gehört 1975 zum ersten Jahrgang der Ausbildung zum Sozialdiakon in Berlin-Weißensee und erhält im August 1978 eine Anstellung als Sozial-/Jugenddiakon in Berlin-Friedrichshain. Die Sammlung dokumentiert den Einsatz Schröders für die Integration jugendlicher Subkulturen im Rahmen einer Offenen Jugendarbeit (OA) der Evangelischen Kirche in der DDR.
Überliefert sind die Arbeitsordner aus der OA im Evangelischen Jugendzentrum im Pfingst-Turm der Pfingstkirche Berlin-Friedrichshain (1978 bis 1983), aus der Begleitung der sozialdiakonischen Jugendarbeit der Jugendwarte in Berlin (1978 bis 1982) und aus der Betreuung des sozialdiakonischen Praktikums im Kirchkreis Friedrichshain (1979 bis 1982). Sie beinhalten Aufzeichnungen, Tagebücher, Korrespondenzen, Anwesenheitslisten, Sitzungsprotokolle, Konzepte, Stellenbeschreibungen, Dienstanweisungen, Arbeitsberichte und Arbeitsanleitungen. Darin befinden sich auch Materialien, welche die Ereignisse um die Veröffentlichung des Berliner Appells „Frieden schaffen ohne Waffen“ des Pfarrers Rainer Eppelmann vom 25. Januar 1982 dokumentieren, wie etwa eine Eingabe Schröders an die Abteilung Inneres des Rates des Stadtbezirkes Friedrichshain wegen der Festnahme seines Kollegen Eppelmann und der Vorladungen von Mitunterzeichnern.
Die Arbeitsmaterialien aus der Begleitung der Berliner Jugendwarte betreffen neben der Pfingstgemeinde im Kirchenkreis Friedrichshain auch das Stadtjugendpfarramt, die Montagsgruppe der Bartholomäuskirche, die Offenen Gruppen der Erlösergemeinde sowie die Kirchenkreise Marzahn und Lichtenberg. Darüber hinaus in der Sammlung enthaltene Materialien sind etwa die Erklärung der Berliner Künstler gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns (1976), subversive Prosa und Gedichte (1979) sowie Fotografien, die vor allem das familiäre Umfeld Schröders, aber auch eine Bluesmesse in der Berliner Samariterkirche, abbilden. Neben Pfarrer Eppelmann und dem Musiker Günter Holwas ist Schröder zu den Initiatoren der Bluesmesse zu rechnen. Im Jahr 1983 wird die OA in der Pfingstgemeinde in Berlin Friedrichshain – nach offizieller Lesart – wegen baupolizeilicher Bestimmungen geschlossen.
In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wechselt Schröder als Stadtjugendwart nach Greifswald. Seine OA dieser Zeit ist in Kopien aus Operativen Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wie dem OAM „Macher“, der OPK „Ableger“ und dem OV „Ableger“ ausschließlich aus Sicht des MfS dokumentiert.
Angelika Schön (Jg. 1959) gehört ab Mitte der 1980er Jahre trotz ihrer katholischen Konfession zu den zentralen Organisatoren oppositioneller Friedens-, Umwelt- und Basisgruppenarbeit der Offenen Arbeit (OA) der Evangelischen (Ev.) Kirche in Thüringen. Der erste Kreis, in dem Schön regelmäßig mitarbeitet, ist der Denstedter Friedenskreis, der sich ab 1984 um Pfarrer Horst Laube gründet. Hier werden in wöchentlichen Treffen Bildungskonzepte und Kinderbücher diskutiert und ab 1985 die Arbeitsergebnisse mittels einer Ausstellung „Das Kinderbuch – ein Mittel zur Friedenserziehung“ an interessierte Kirchgemeinden weitervermittelt. Das Konzept zur Ausstellung sowie eine Bücherliste sind neben weiteren Materialien aus der Friedenserziehung Bestandteil der Sammlung.
Da der Versuch der Etablierung einer laufenden OA der Weimarer Basisgruppen an der Suche nach Räumlichkeiten scheitert, entsteht 1985 die Idee für ein Thüringer Basisgruppenseminar unter Aktivierung von Personen aus dem ehemaligem Friedenskreis der Ev. Studentengemeinde (ESG) Weimar. Überliefert sind etwa ein Gruppenbild in der ESG Weimar von 1985 sowie das Notizheft Schöns zur Basisgruppenarbeit und den ESG-Treffen von 1988. 1986 nimmt Schön erstmals am jährlich stattfindenden DDR-weiten Basisgruppenseminar „Frieden Konkret“ in Stendal teil und wird sogleich zur Thüringer Basisgruppenvertreterin in dessen Fortsetzungsausschuss gewählt. Die Arbeitshefter Schöns enthalten Korrespondenzen und Arbeitstexte zu den Seminaren in Stendal, Leipzig und Cottbus (1986-1988) und bilden sowohl die fortschreitende Politisierung christlicher Basisgruppen als auch die Einbindung des Netzwerkes Frieden Konkret in den Konziliaren Prozess der Kirchen in der DDR ab.
Daneben nimmt Schön an den mobilen Friedensseminaren in Mecklenburg teil. Von dort stammen Arbeitstexte von Martin Gutzeit, Markus Meckel und Schön („Hunger und Reichtum“, 1988). Nachdem in Mecklenburg im Sommer 1987 Personen aus der Friedensbewegung der Bundesrepublik für den europaweit geplanten Olof-Palme-Friedensmarsch werben, wird die Idee vom „Offenen Gesprächskreis“ der Weimarer Gruppen aufgegriffen. Am 19. September 1987 beteiligen sie sich mit eigenen Plakaten und einer Andacht in Buchenwald an der von der Christlichen Friedenskonferenz angemeldeten Route. Erhalten sind die „Peace Fiction“ Schöns, vorgetragen zur Andacht in Buchenwald, sowie ihr Erlebnisbericht.
Im Mai 1987 unterzeichnen die Städte Weimar und Trier eine offizielle Städtepartnerschaft. Nach einer Idee der Menschenrechtsgruppe Weimar und des Denstedter Friedenskreises, organisiert Schön mit weiteren Weimarer Oppositionellen eine Städtepartnerschaft von Unten. Überliefert sind Korrespondenzen sowie ein Bericht zum ersten Begegnungswochenende mit Mitgliedern der Trierer Arbeitsgruppe Frieden vom 14. bis 16. Oktober 1988 in Weimar.
Im Sommer 1988 beteiligt sich Schön aktiv am Versuch der Organisation einer Offenen Arbeit in Weimar zum Ev. Kirchentag „Umkehr führt weiter“ in Erfurt. Dokumentiert sind beispielsweise das Konzept der Weimarer Arbeitsgruppen und das Kirchentagsprogramm. Auch Schöns „Zeugnis der Betroffenheit“, erarbeitet für die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR und öffentlich vorgetragen im Jugendgottesdienst des Kirchentages auf dem Domplatz in Erfurt, ist hier enthalten.
Dass Schön auf Grund Ihres oppositionellen Engagements in das Visier des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gerät, ist ihr spätestens seit 1986 – ihrer Nominierung als Thüringer Basisgruppenvertreterin – bewusst. Am 26. Januar 1988 kommt es im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen Stephan Krawzcyk nach § 100 StGB (staatsfeindliche Verbindungen) zur Hausdurchsuchung bei Schön. Neben Unterlagen des MfS aus Schöns Akteneinsicht sind Notizen, Korrespondenzen und Beschwerden Schöns, welche sich vor allem auf die Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände beziehen, überliefert.
Gegen Ende der 1980er Jahre entstehen neue Konfliktfelder zwischen oppositionellen Basisgruppen und der Thüringer Landeskirche. Beispiel hierfür geben die Korrespondenzen von Ulrich Töpfer und Schön – als Thüringer Vertreter von „Frieden Konkret“ – mit Vertretern der Landeskirche bezüglich der Anstellung eines Kirchlichen Umweltbeauftragten. Zwar ist dessen Anstellung im November 1988 die konkrete Umsetzung einer Forderung von „Frieden Konkret“, jedoch werden die Basisgruppenvertreter nicht bei der Auswahl der Personalie einbezogen. Am 3. Dezember 1988 stellt die Konferenz der Kirchenleitung des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR (BEK) eine „Ad-hoc-Gruppe“ – darunter Schön – für die Erarbeitung von Orientierungshilfen für das Miteinander von Kirche und Gruppen zusammen. Ein Arbeitshefter enthält neben Übersichten über Basisgruppen und Thüringer Basisgruppentreffen, Protokollen, Korrespondenzen und Konzepten auch eine Synodaleingabe Schöns zur Gestaltung der Stelle eines Basisgruppenbeauftragten für Thüringen. 1989 wird Schön auf Vorschlag des Weimarer Basisgruppentreffens in die Delegation des BEK zur „Zukunftswerkstatt Europa“ der Europäischen Versammlung Basel vom 15. bis 21. Mai 1989 aufgenommen. Hierzu sind unter anderem Korrespondenzen aus der Reisevor- und Reisenachbereitung, das Konzept und die Materialsammlung für einen Informationsstand zur Vorstellung der Friedensarbeit der OA in Thüringen sowie Fotografien aus Basel überliefert.
Weitere Materialsammlungen dokumentieren vielfältige überregionale Kontakte zu oppositionellen Gruppen der Jahre 1987 bis 1989. Bestandteil sind beispielsweise Konzepte der OA in Thüringen wie der Jungen Gemeinde Stadtmitte Jena, des Leseladen Jena oder des Braunsdorfer Pfarrers Walter Schilling. Weiterhin enthalten ist Schöns Dokumentation der Verhaftung von Ausreiseantragstellern in der Stadtkirche Weimar am 4. Dezember 1988 oder die Erklärung von Uta Lemke/AKSK Thüringen zur Ausreiseproblematik. Ein Arbeitshefter Atomkraft (1986-1989) mit Material von „Frieden Konkret“ und der Umweltbibliothek Berlin, Material der Arbeitsgruppe Luft der OA Erfurt, Korrespondenz zu Eingaben von Schön und Jörg Wilker an das BEK betreffs Aufruf und BEK-Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ (1987-1988) oder der Aufruf des Friedenskreis Naumburg zur Aufarbeitung stalinistischer Verbrechen in der DDR (1988) befinden sich ebenfalls in der Sammlung. Ein Querschnitt von politischem Samisdat zu Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsfragen in der DDR und Osteuropa (1984-1989) umfasst zumeist Samisdat von Berliner Gruppen aber auch das „Erfurter Filterpapier“ vom Ökumenischen Luftseminar (1989), das „Erfurter Schlagloch“ der KvU Erfurt/Berlin (1989) sowie Ausgaben des „Grenzfall“ der Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) Berlin (1987-1989) und die „Grenzfall“-Einzelausgabe der IFM Suhl (1989).
Der Sammlungsbestand von Barbara Sengewald (geb. Weisshuhn), Jahrgang 1953, ist beredtes Beispiel gesellschaftspolitischen Engagements von Frauen in der Bürgerbewegung 1989/1990.
Die Samisdatsammlung von Sengewald aus den Jahren 1987 bis 1989 umfasst „Wohnsinn“ und „Spuren. Zur Geschichte der Friedensbewegung in der DDR“ des Radix-Verlages Berlin, „Nachdruck“ vom Friedenskreis Merseburg, „Fußnote 3“ der Initiative Frieden und Menschenrechte Berlin, „Vaclav Havel“ der Redaktionen Kontext und Ostkreuz Berlin, „Urkunde. Vierzig Jahre Warten“ von Bärbel Bohley, Katja Havemann, Irena Kukutz und Reinhard Weisshuhn sowie „Gedächtnisprotokolle. Tage und Nächte nach dem 7. Oktober 1989“ vom Stadtjugendpfarramt Berlin. Aufrufe und Flugblätter oppositioneller Gruppen sowie ein Pressespiegel dokumentieren die Ausreisewelle im Sommer 1989 und die Bürgerbewegung im Herbst 1989.
Im Oktober 1989 ist Sengewald Mitbegründerin der Erfurter Frauengruppe „Frauen für Veränderung“, ab Dezember 1989 engagiert sie sich im Bürgerkomitee zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Erfurt und ist am 4. Dezember 1989 bei der Besetzung der Bezirksverwaltung des MfS in Erfurt aktiv beteiligt. Die Sammlung enthält Geschäftsordnung, Positionspapiere, Forderungen, Flugblätter, Korrespondenzen, Redeskripte und Protokolle des Bürgerkomitees (Dezember 1989 bis Juni 1990) sowie Protokolle des Bürgerrates Erfurt (Dezember 1989 bis März 1990). Außerdem sind Fotografien einer Erfurter Donnerstagsdemonstration, eines Friedensgebetes in der Predigerkirche Erfurt, einer Kundgebung des Bürgerkomitees auf dem Domplatz Erfurt sowie Fotos von „Frauen für Veränderung“ überliefert. Am 7. Februar 1990 beschließt der Runde Tisch der Stadt Erfurt, auf Vorschlag des Oberbürgermeisters, bis zur Kommunalwahl im Mai 1990 ein Interimsparlament zu bilden, welches die Aufgaben der bisherigen Stadtverordnetenversammlung übernehmen soll. Als dieses am 21. Februar 1990 seine Arbeit aufnimmt, ist Sengewald für das Bürgerkomitee als ständiges Mitglied vertreten. Im Bestand befinden sich Antragsvorlagen und Sitzungsprotokolle aus ihrer Mitarbeit im Interimsparlament der Stadt Erfurt, Materialien zur Kommunalwahl im Mai 1990 und Anträge an den Runden Tisch Erfurt. Gleichzeitig ist Sengewald von 1989 bis 1991 Mitglied des Neuen Forums Thüringen. Hier sind Positionspapiere, Programm, Statut, Erklärungen, Korrespondenzen, Rundbriefe sowie Sitzungsprotokolle von Arbeitsgruppensprechersitzungen, Bezirkssprechersitzungen und Fraktionssitzungen sowie ein Transparent „Neues Forum zulassen“ erhalten. Hinzu kommen Materialien von Bündnis 90, insbesondere zur Gründungsversammlung im September 1991 in Potsdam und zur Gründungsversammlung des Landesverbandes Thüringen im Oktober 1991 in Neudietendorf.
Ende der 1990er Jahre engagiert sich Sengewald für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und ist 1999 Mitbegründerin des Vereins Gesellschaft für Zeitgeschichte e.V. Im Juli 1999 organisiert der Verein in der Erfurter Andreaskirche die Gesprächsrunde und gleichnamige Ausstellung „Frauenwut – Frauenmut – Frauen für Veränderung – 10 Jahre danach“. Ein Tonmitschnitt dokumentiert diese Veranstaltung. Anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Erfurter Bürgerkomitees erstellt der Verein im Jahr 1999 den filmischen Rückblick „Der Herbst 1989 in Erfurt“ und die Ausstellung „10 Jahre deutsche Einheit – 10 Jahre demokratische Mitgestaltung“. Film- und Ausstellungstexte sind überliefert.
Matthias Sengewald wird 1955 in Ostritz geboren, wo das Ende des Zweiten Weltkrieges durch die deutsch-polnische Grenze stets gegenwärtig ist. Er wächst in einem DDR-kritischen Umfeld auf und beschäftigt sich früh mit politischen, philosophischen und theologischen Themen, befördert durch Christenlehre und Junge Gemeinde. Nach einer Berufsausbildung mit Abitur im sozialistischen Großbetrieb Schwarze Pumpe beschließt er, den vorgezeichneten Weg zum Ingenieurstudium nicht zu gehen, sondern ab 1974 eine Ausbildung zum Jugenddiakon im Evangelisch-Lutherischen (Ev.-Luth.) Diakonenhaus Moritzburg zu absolvieren. Hier setzt die umfangreiche Sammlung Sengewalds, welche von seinem starken Friedensengagement innerhalb der ev. Jugendarbeit in der DDR geprägt ist, ein. Diverse Arbeitsordner tragen thematische Titel wie „Rüstungspolitik“, „Friedensbewegung“, „Kirche im Sozialismus“ oder „Zwei-Drittel-Welt“, aber auch „Ev. Jugendarbeit“. Sie enthalten vor allem kirchliche Arbeits- und Informationsmaterialien, beispielsweise vom Bund der Ev. Kirchen in der DDR, Materialien kirchlicher Friedensinitiativen, wie beispielsweise den Aufruf „Sozialer Friedensdienst“ (SoFD) um Christoph Wonneberger 1981, aber auch Materialien unabhängiger Friedensgruppen. Daneben gibt es die Ordner „Basisrundbriefe Königswartha“ mit Materialien des ökumenischen Basisseminars der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) und „Gesetze DDR“. 1978 tritt Sengewald seine erste Dienststelle im Neubaugebiet Dresden-Leuben an, einer großen Gemeinde mit vielen Kindern und Jugendlichen. Fortan berät er Wehrpflichtige über Möglichkeiten der Wehrdienstverweigerung und organisiert Vorbereitungswochenenden für Einberufene. Er selbst verweigert, wie viele Auszubildende in Moritzburg, den Waffendienst in der Nationalen Volksarmee. Dieses jahrzehntelange Engagement führt er auch ab 1990 mit dem Aufbau der „Seelsorge an Soldaten“ in Erfurt und als Mitarbeiter im Arbeitskreis (AK) Soldatenseelsorge der Kirchenprovinz Sachsen weiter. Die Sammlung enthält neben dem Ordner „Wehrdienst“, welcher auch Sengewalds eigene Unterlagen der Waffendienstverweigerung von 1978 bis 1985 enthält, auch Unterlagen zur sozialistischen Wehrerziehung in der DDR sowie Arbeitsordner aus den 1990er Jahren, betitelt mit „Soldaten Seelsorge“, „Zivildienst, Kriegsdienstverweigerer“ und „Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“ in Erfurt (1994/95). Ab 1983 ist Sengewald als Stadtjugendwart in Leipzig tätig. Hier leitet er die Vorbereitungsgruppe der jährlichen Friedensdekaden und bietet auch Aktionsgruppen, welche politische Öffentlichkeit suchen, ein Podium. Daneben übernimmt Sengewald die organisatorische Leitung der Arbeitsgruppe (AG) Friedensdienst von dem damaligen Theologiestudenten Heinz Bächer. Um die Basisgruppen zu vernetzen und deren wachsendem Wunsch nach Teilhabe an gesellschaftskritischen Auseinandersetzungen zu entsprechen, gibt Sengewald ab 1984 mit Brigitte Moritz den Samisdat „Kontakte. Frieden – Umwelt – Dritte Welt“ heraus. Auch die seit 1982 in der Nikolaikirche stattfindenden Friedensgebete werden aufgrund der zunehmenden Anzahl politisch arbeitender Basisgruppen zum Kristallisationspunkt. Hier nutzt Sengewald seine umfangreiche Zeitungssammlung und verknüpft in Zitaten aktuelles Zeitgeschehen mit christlichem Engagement. In den Ordnern „Friedensgruppen Leipzig“ und „Jugendpfarramt Leipzig – Veranstaltungen“ befinden sich Arbeitsmaterialien von Dienstbesprechungen, Jugendwartkonventen, Jugendtagen, Friedensdekaden, Friedensgebeten, Gottesdiensten für Wehrpflichtige, aber auch von der AG Friedensdienst sowie von anderen Basisgruppen und Veranstaltungen, beispielsweise von der AG Umweltschutz mit der Fahrrad-Demonstration „Mobil ohne Auto“ und dem Samisdat „Streiflichter“. An Samisdat erhalten sind zudem „Aktuell“, „Aus Unveröffentlichtem“, „Schnellinfo“, „Wegzehrung“ und „Wendezeit“ des Friedenskreises der Samaritergemeinde Berlin, „Arche Info“ und „Arche Nova“ des Grün-ökologischen Netzwerkes Arche Berlin, „Aufrisse“ des Radix-Verlages Berlin, „Ausblick“ des Kirchenkreises Magdeburg, „Das Erfurter Filterpapier“ des Grün-ökologischen Netzwerkes Arche Erfurt und Berlin, „Erfurter Schlagloch“ der Kirche von Unten (KvU) / Offene Arbeit Erfurt und Berlin, „Frieda“ der CFK Kapellendorf, „Kopfsprung. Das Fanal“ der KvU und „Wahlfall 89. Eine Dokumentation“ der Koordinierungsgruppe Wahlen Berlin. Die DDR-Zeitungssammlung beinhaltet vorwiegend „Glaube und Heimat“, „Die Kirche“ und das „Neue Deutschland“. Im Oktober 1986 wechselt Sengewald als Stadtjugendwart nach Erfurt. Auch hier leitet er die jährlichen Friedensdekaden und ist an den seit 1978 in der Lorenzkirche stattfindenden Friedensgebeten beteiligt. Zudem wirkt er intensiv an der Ökumenischen Versammlung (ÖV) „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ mit und nimmt an regelmäßigen Treffen Friedensengagierter aus Leipzig und Thüringen mit Gästen aus der Bundesrepublik/ Stuttgart bei Pfarrer Heinz Bächer in Trockenborn teil. In zwei Ordnern „Konziliarer Prozess/ ÖV“ und „Arbeits- und Informationsmaterial ÖV“ befinden sich Protokolle, Korrespondenz und Arbeitsmaterial des ÖV-Büros Erfurt, insbesondere zur Tagung „Mehr Gerechtigkeit in der DDR“ am 12. November 1988 im Augustinerkloster Erfurt. Dieses Material verdeutlicht, ebenso wie der vom Ev. Stadtjugendpfarramt Erfurt herausgegebene Samisdat „Plattform. Konziliare Nachrichten“, dessen Bedeutung als Anlaufstelle für die kirchlichen Basisgruppen. Am 40. Jahrestag der DDR, am 7. Oktober 1989, findet in der Kaufmannskirche ein Gottesdienst statt, in welchem ein Flugblatt des Stadtjugendpfarramtes mit zehn Forderungen zu Reise-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, für freie Wahlen, zur Einberufung eines Runden Tisches und zur Einhaltung der Verfassung der DDR verlesen wird. Auch an fast allen ab dem 26. Oktober1989 parallel zur Lorenzkirche in der Predigerkirche durchgeführten Friedensgebeten ist er aktiv beteiligt. Im Hefter „Friedensgebet Erfurt“ sind die von den Vorbereitungsgruppen für Friedensgebet und Demonstration formulierten politischen Forderungen sowie Textbausteine und Inhalte der Friedensgebete bis April 1991 dokumentiert. Überliefert ist zudem ein Ordner „Friedensgruppen, -aktivitäten, -vereinigungen“ mit Materialien von Erfurter Initiativen wie dem Grün-Ökologischen Netzwerk Arche, dem Erfurter Luftseminar der Umweltgruppe in der OASE Erfurt 1989, zum Thema Neues Denken ab 1987, bis hin zum Aktionskreis gegen den Golfkrieg 1991. Darüber hinaus zeigt Sengewald ab Ende 1986 starkes kommunalpolitisches Engagement, ist Mitbegründer der AG Stadt- und Wohnumwelt in der Stadtmission Erfurt – ab Ende 1989 Bürgerinitiative Altstadtentwicklung Erfurt – und setzt sich gegen Abrisse in der historischen Altstadt ein. Im Mai 1989 beschäftigt sich Sengewald intensiv mit der Beobachtung der Kommunalwahl. Im Herbst 1989 beteiligt er sich im Neuen Forum und zieht von 1990 bis 1999 als Abgeordneter der Liste „Neues Forum/ GRÜNE“ in das Erfurter Stadtparlament ein. Die Unterlagen der Bürgerinitiative Altstadtentwicklung Erfurt befinden sich bis auf einzelne Logo- und Werbemittelentwürfe im Stadtarchiv Erfurt. Der Ordner „Kommunalwahlen 1989, Kirche 1989/90, Wahlen 1990“ beinhaltet unter anderem das von Sengewald auf der Druckmaschine der Stadtmission Erfurt gedruckte Flugblatt „Wahl – Betrug oder Beleidigung?“ Die Ormig-Druckmaschine gehört ebenfalls zur Sammlung. Zahlreiche Ordner und Hefter wie „Gesellschaftspolitik, Umweltschutz und Denkmalschutz“, „Kommunalpolitik“, „Kommunalpolitik Erfurt, Die Grünen“ und „Kreisverband Erfurt/ Bündnis 90/ Die Grünen“ unterstreichen eindrücklich seine Mitarbeit in der Neugestaltung kommunaler Politik insbesondere im Bereich Jugend und Stadtentwicklung. Auch die Zeitung Die Alternative / Thüringer Alternative des Landesverbandes Bündnis 90 / Die Grünen ist ab der ersten Ausgabe von 1990 bis 1998 vorhanden. Die enthaltene Fotosammlung dokumentiert vor allem Szenen der Transformationszeit 1989/90 in Erfurt, wie die Demonstrationen im November 1989, darunter auch die der Künstler und Kulturschaffenden am 19. November1989, die Bürgerwache vor der Bezirksverwaltung (BV) des Ministeriums für Staatssicherheit im Dezember 1989, die Menschenkette „Bürgerwall“ der Bürgerinitiative Altstadtentwicklung vom 10. Dezember 1989, das Solidaritätskonzert zum Hungerstreik von Mitgliedern der Bürgerwache in der Andreasstraße im April 1990, das Bauprojekt „Haus der Kultur“ am Hirschgarten im Juni 1990 sowie das Projekt „DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“ 1995. Weitere Einblicke in Biografie und zeithistorischen Kontext bietet ein biografisches Interview.
Der Diplom Bauingenieur Rudolf Sickert (gest. 2010) ist Anfang 50, als er Direktor der Komplexbaustelle zum Bau der Eisenbahnfährverbindung Mukran/DDR-Klaipeda/UdSSR wird, um mit Arbeitern, Soldaten und Bausoldaten eine direkte Verbindung für den Güterverkehr, inoffiziell auch für geheime Militärtransporte, zwischen diesen beiden sozialistischen Bruderländern zu schaffen. Die vom Minister für Verkehrswesen der DDR mit dem Ehrennamen ausgezeichnete „Großbaustelle der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ auf der Insel Rügen wird zum militärischen Sperrgebiet. Die Sammlung enthält die Projektdokumentation aus dem Nachlass des 2010 verstorbenen Rudolf Sickert ab Baustelleneröffnung am 21. April 1982 bis zur feierlichen Eröffnung am 2. Oktober 1986.
Ein besonderes Fundstück ist die 56 Seiten starke Bilddokumentation der VEB Deutfracht/Seereederei IAG Fährverkehr mit zahlreichen Hochglanzfotografien von Delegationen, Baustellenbesichtigungen und Feierlichkeiten.
Den zweiten Schwerpunkt bilden die von Sickert zusammengestellten Pressespiegel, welche auch Skripte weiterer Medienbeiträge vor allem aus der DDR, der UdSSR und der Bundesrepublik sowie zahlreiches weiteres öffentlichkeitswirksames Material aus den Jahren 1982 bis 1987 umfassen. Angereichert sind die Pressespiegel beispielsweise um einen Vortrag Sickerts zur Entwicklung des Eisenbahn-Fährverkehrs DDR-UdSSR vom März 1985, die Festansprachen anlässlich „1000 Tage Baugeschehen“ im Januar 1985 mit einem von Sickert verfassten Gedicht, seine Rede zur Eröffnung 1986, das Ministerschreiben zur Ehrenauszeichnung „Großbaustelle der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ 1985, Interviews mit Sickert aber auch das Filmszenarium „Mukran – Klaipeda. Seeweg der Zukunft“ von Gerhard Mackat (Berlin, 1985) und eine technische Zeichnung vom Bahnhof Saßnitz-Mukran.
Briefe von Matthias „Matz“ Domaschk an K.D. Siegel während des Grundwehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee 1978/79.
Der Nachlass des 1948 in Schönebeck/Elbe geborenen und 1996 in Gera gestorbenen Pfarrers Michael Stanescu alias „Constantin“ enthält die Überlieferung des Taufkreises (TK) Jena, der sich 1982 als Hauskreis aus der Offenen Jugendarbeit der Jungen Gemeinde Stadtmitte (JGM) Jena konstituiert und sich nach dem Weggang seiner Leitfigur Stanescu 1986 allmählich auflöst. Stanescu studiert ab 1967 Theologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er arbeitet zunächst als Gemeindehelfer und später als Pfarrer in Jena. Am 21. April 1982 gründet Stanescu gemeinsam mit dem damaligen Gemeindehelfer Thomas Grund den TK Jena. Zu den 14-tägigen Treffen in den Wohnungen von Grund und Stanescu sollen vor allem konfessionslose Jugendliche angesprochen werden, um diese durch theologische und biblische Unterrichtung für die Taufe oder Konfirmation zu qualifizieren und sie für die aktive Mitarbeit in der JGM zu rüsten. Die kunstvoll gestalteten Rundbriefe des TK Jena, welche als Einladungs- sowie als Informationsbriefe an Mitglieder und Interessierte fungieren, bilden den Kern der Sammlung. Die ebenso erhaltenen Arbeitsmaterialien für die Vorbereitung der TK beinhalten das klassische Spektrum des Erwachsenenkatechumenats mit Bibelarbeit sowie Bezügen zu Werkstätten der JGM, dem Theater-Spielkreis und der Filmgruppe. So sind theologisches Grundlagenmaterial und biblisches Lehrmaterial aus der evangelischen (ev.) Gemeinde- und Jugendarbeit (1976 bis 1989), aber auch der 1984 abgedrehte Gleichnisfilm „Prediger in der Wüste“ mit Super-8-Film und Tonspur der „Hinterhofproduction Jena“, Drehbücher der Filmgruppe der JGM (1981/82) und eine Dokumentation aus dem Jahr 1985 mit Berichten über weitere Erwachsenenkatechumenate in Thüringen (Pfr. Kranz/Weimar; Pfr. Helmut Sobko/Tiefenort; Pfr. Martin Scriba/Altendorf; Stanescu/Jena) überliefert.
Ende 1986 tritt Stanescu die zweite Pfarrstelle in Hermsdorf an, bleibt aber in überregionalen Netzwerken aktiv. Aus dieser Zeit stammen vereinzelte Materialien etwa aus der Leitung des TK Hermsdorf (1987/88), aus der Vertretung der landeskirchlichen Regionen im Fortsetzungsausschuss „Frieden Konkret“ (1988), aus der Mitwirkung im Vorbereitungskreis des 3. bis 5. Thüringer Basisgruppenseminars (1987/88) und zum Ev. Kirchentag in Erfurt 1988. Eine Adressenliste der Basisgruppen Thüringens vom Mai 1988 weist Stanescu zudem als Ansprechpartner des Altendorfer Friedenskreises aus.
1991 wird Stanescu als IM/IMV/IMB „Runge“ bzw. „Bartholomäus Runge“ enttarnt, als der er von 1970 bis 1989 für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR aus Kirchenkreisen berichtet. Daraufhin wird er aus dem Kirchendienst entlassen.
Sammlung von Michael Stolle aus dessen Tätigkeit als Gründer und Sprecher des Neuen Forums Gera und im Bezirkssprecherrat von September 1989 bis April 1990.
Unterlagen von den Runden Tischen der Stadt Gera und des Bezirkes Gera von Dezember 1989 bis April 1990 und von der Kommunalwahl in Gera am 6. Mai 1990.